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Darmstadt

Abschiebungshaft: Viele werden zu Unrecht inhaftiert

Jana Müller-DetertSeit September 2021 bietet die Diakonie dank der seit 2017 bereitgestellten kirchlichen Mittel der EKHN eine externe unabhängige Haftberatung für Inhaftierte in der Abschiebungshafteinrichtung Darmstadt-Eberstadt an.

Die externe unabhängige Haftberatung der Diakonie Hessen für Inhaftierte in der Abschiebungshaft Darmstadt-Eberstadt hat ihren Jahresbericht veröffentlicht. „Viele Menschen werden zu Unrecht inhaftiert und ihres Freiheitsgrundrechts beraubt. Das ist in einem Land wie Deutschland, das sich selbst als Rechtsstaat versteht, mehr als erschreckend“, fasst Carsten Tag, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Hessen, die Ergebnisse zusammen. Eine Pflichtverteidigung ab der Festnahme sei dringend erforderlich.

Die Diakonie Hessen bietet seit September 2021 eine staatlich unabhängige Rechtsberatung für Inhaftierte in der Abschiebungshaft Darmstadt an. Hierfür stellt die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) die erforderlichen Mittel bereit.

Der an das Beratungsprojekt angegliederte Rechtshilfefonds ermöglicht die Vermittlung an im Migrationsrecht erfahrene Anwältinnen und Anwälte. Für Gefangene in der Abschiebungshaft ist dies besonders wichtig, da ihnen im Gegensatz zu Strafgefangenen keine Pflichtverteidigung zur Seite gestellt wird. „Die Betroffenen sind einem Verfahren ausgesetzt, das sie nicht kennen und verstehen“, kritisiert Beraterin Stefanie Dorn. „Ohne professionellen Beistand vor Gericht haben sie keine Chance, ihre Grundrechte zu verteidigen." Trotzdem werde  die jahrelange Forderung verschiedenster Verbände nach einer Pflichtverteidigung ab dem Moment der Festnahme, ähnlich wie im Strafrecht, vom Gesetzgeber bislang ignoriert. 

„Wir können mit unserem Angebot in Einzelfällen helfen, aber nicht die offenkundigen rechtsstaatlichen strukturellen Mängel ausgleichen“, erklärt Dorn. Erschwerend komme hinzu, dass der Kontakt zu den Betroffenen erst möglich sei, wenn sie bereits gefangen genommen wurden. „Das ist meist zu spät. Der Termin bei Gericht ist dann bereits gelaufen und über eine danach eingelegte Haftbeschwerde wird oftmals erst entschieden, wenn die Person bereits abgeschoben wurde. Das macht deutlich, wie wichtig eine Pflichtverteidigung ab der Festnahme ist“, so Stefanie Dorn. Carsten Tag betont: „Solange es eine solche Pflichtverteidigung nicht gibt, bleibt die unabhängige Rechtsberatung der Diakonie Hessen in der Abschiebungshaft unverzichtbar.“

Das machen auch die im jetzt vorgelegten Jahresbericht der unabhängigen Rechtsberatung beschriebenen Einzelschicksale deutlich. Drei Fälle werden im Folgenden vorgestellt.

Rettung in letzter Sekunde

Als Herr U. während eines Termins bei der Ausländerbehörde zwecks Abschiebung plötzlich festgenommen wurde, war das Eheschließungsverfahren mit seinem Verlobten bereits im Gange. Aufgrund seiner homosexuellen Orientierung hätte die Abschiebung nach Pakistan für ihn die Todesstrafe bedeutet. Zwischen der Festnahme bei der Ausländerbehörde und dem Abflugtermin blieben vier Stunden Zeit, um anwaltliche Vertretung zu finden und einen Eilantrag bei Gericht einzureichen. Dies ist dank der ehrenamtlichen Unterstützung, die zufällig bei der Festnahme zugegen war, gelungen. Jedoch fand sich Herr U. zunächst in Abschiebungshaft wieder und musste das Asylfolgeverfahren von dort aus betreiben. Schließlich erkannte ihn das BAMF als Flüchtling an und Herr U. war freizulassen. Der Fall zeigt, wie wichtig und überlebensnotwendig eine rechtliche Beratung ab der Festnahme kurz vor einer geplanten Abschiebung sein kann.

Gefangen in der Zwangsprostitution

Frau M. war nicht einmal volljährig, als sie von einem Mann mittels der sogenannten Lover-Boy-Strategie getäuscht und in die Prostitution im Westbalkan gezwungen wurde. Staatlichen Schutz konnte sie dort nicht erlangen. Schließlich brachte ihr Peiniger sie zur sexuellen Ausbeutung nach Deutschland, wo ihr eines Tages die Flucht aus dem Bordell gelang. Nach kurzer Zeit wurde sie jedoch von der Polizei aufgegriffen und zum Zweck der Abschiebung inhaftiert. In der Abschiebungshaft Darmstadt kam sie in Kontakt mit der unabhängigen Beratungsstelle der Diakonie Hessen, die die Anzeichen der besonderen Schutzbedürftigkeit als Opfer von Menschenhandel wahrnahm und unmittelbar die einschlägige Fachberatungsstelle für Opfer von Menschenhandel hinzuzog. Dank der Intervention der ebenfalls vermittelten anwaltlichen Vertretung wurde Frau M. aus der Haft entlassen und in einem Frauenhaus untergebracht. Mittlerweile hat das zuständige Landgericht entschieden, dass die Inhaftierung von Frau M. von vornherein rechtswidrig war. Aufgrund des gegenüber dem Haftrichter geäußerten Asylgesuchs hätte sie gar nicht inhaftiert werden dürfen. Die rechtswidrige Inhaftierung hätte von Anfang an verhindert werden können, hätte Frau M. eine Pflichtverteidigung zur Seite gestanden.

Trennung einer Familie

Als Herr C. in der Abschiebungshaft inhaftiert wurde, stand seine Verlobte kurz vor der Entbindung der gemeinsamen mittlerweile zur Welt gekommenen Tochter. Ihre Geburt konnte Herr C. aufgrund der Inhaftierung nicht miterleben. Den Haftrichter interessierte die Familientrennung nicht. Trotz der zwischenzeitlichen Geburt der Tochter wurde die Haft aufrechterhalten. Sowohl Herrn C. als auch seiner Verlobten drohte zum damaligen Zeitpunkt noch die Überstellung nach Spanien im Rahmen des Dublinverfahrens. Allerdings stellte sich im Laufe der Inhaftierung heraus, dass Spanien für das Asylverfahren der Verlobten gar nicht mehr zuständig war. Das musste die Zentrale Ausländerbehörde gewusst haben, als sie einen weiteren Haftverlängerungsantrag mit der Begründung stellte, dass die Familieneinheit künftig in Spanien hergestellt werden könnte. Dank der guten Zusammenarbeit von asyl- und haftrechtlicher anwaltlicher Vertretung konnte das zuständige Amtsgericht darauf hingewiesen werden, dass ein gemeinsames Familienleben in Spanien – entgegen der Behauptung der Zentralen Ausländerbehörde – überhaupt nicht mehr in Betracht käme. Noch am selben Tag wurde Herr C. entlassen, da das Amtsgericht daraufhin dem Haftverlängerungsantrag nicht stattgab.

Ansprechpartnerin
Stefanie Dorn
Referentin für Flucht und Integration & Externe unabhängige Haftberatung für Inhaftierte in der Abschiebungshafteinrichtung in Darmstadt
T +49 69 7947 6235
stefanie.dorn@diakonie-hessen.de

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